
Weniger Aufmerksamkeit versus Ignoranz – Feiner Unterschied mit tiefgreifenden Auswirkungen
Hast du auch schon einmal die „Empfehlung“ bekommen deinen Hund zu ignorieren?
Hunde-Menschen die zu mir kommen berichten mir häufig davon. Es wurde ihnen in Hundeschulen gesagt, oder auf auf Youtube und Co. ganz allgemein „empfohlen“…
Sie erzählen mir auch davon, dass sie das entweder ausprobiert, sie sich dabei jedoch irgendwie unwohl gefühlt haben. Auf meine Nachfragen hin, verspürten sie allein nur bei der Vorstellung dieser Vorgehensweise einen inneren Widerstand. Oder sie haben bewusst, weil „empfohlen“ (!), gegen ihre innere Stimme gehandelt. Das wiederum hat in ihnen kein gutes Gefühl ausgelöst. Eine Dissonanz ist entstanden. Darauf wiederum können Hunde unterschiedlich sensibel reagieren.
Das ist ganz wunderbar, wie ich finde. Denn auf diese Weise dürfen wir Menschen uns die Zeit nehmen, einfach mal genauer hinschauen. Wer mich und meine Arbeit mit Mensch wie Hund kennt, weiß bereits, dass ich das nur zu gern tue.
Aufmerksamkeit – ein gutes Gefühl
Aufmerksamkeit ist ein hochemotionales Thema für uns Menschen. Wir empfinden und bewerten es überwiegend als positiv, wenn wir uns gegenseitig viel Aufmerksamkeit schenken. Dann fühlen wir uns gesehen und WERT-geschätzt um unseretwillen. Unser Selbst-WERT-Gefühl steigert sich. Die Körperchemie bestätigt das. Botenstoffe wie Endorphine, Oxytozin und Dopamin werden ausgeschüttet. Die machen uns ein richtig gutes Gefühl. Dieser angenehme, innere Zustand drückt sich im außen aus. Wir spiegeln diesen Zustand förmlich wieder. Haben neue Ideen, machen Pläne, sind kreativ und neugierig. Unser gesamtes System bekommt Auftrieb. Andere Menschen, auch unbekannte, reagieren darauf. Beispielsweise werden wir öfter spontan freundlich angeschaut. Einfach so.
Menschen die wir mögen schenken wir besonders gerne unsere Aufmerksamkeit. Wir beschenken eine Freundin beispielsweise mit Blumen. Wir beschenken uns gegenseitig zu festlichen Anlässen, oder einfach zwischendurch. Wir machen Komplimente. Aufmerksamkeit ist ein Geben und nehmen. Beides tut uns gut, denn dabei wird Oxytozin ausgeschüttet – das Bindungshormon. Das wirkt wie ein positiver Trigger, ein Verstärker. Wir fühlen uns verbunden mit uns und anderen Menschen. Für uns, als sozial lebende Säugetiere, ist das ein richtig gutes Gefühl. Darum wiederholen und bestärken wir es unser Leben lang.
Das ist menschlich
Durchaus verständlich, dass wir Menschen Gleiches auf unsere Hunde projizieren. Wie so oft geschieht diese Interpretation unserer Wahrnehmung unbewusst. Wie so oft kommen wir auch hier nicht auf die Idee, dass es für andere Lebewesen, in diesem Fall Hunde, möglciherweise auch ganz anders sein könnte.
Wir Menschen empfinden das Ignorieren des Hundes als gleichbedeutend mit Liebesentzug. Einem Höchstmaß an sozialer Strafe. Ignoranz bedeutet Ausschluss eines Individuums aus der Gemeinschaft. Das bedeutet das Überleben ist nicht mehr gesichert. Bio-logisch vollkommen nachvollziehbar, dass wir das mit unserem Hund nicht tun wollen. Das ist auch gut so, wie ich finde.
Dennoch – auch hier projizieren wir unser ungutes Gefühl, und die damit assoziierte Interpretation (=drohender Tod) auf unseren Hund. Wir fühlen uns nicht nur nicht gut dabei, wenn wir gesagt bekommen, „ignoriere deinen Hund!“. Wir leiden. Wir fühlen in der Tiefe vielleicht sogar Schmerz, Trauer und Verzweiflung. Denn unbewusst ist daran gekoppelt ich weihe meinem Hund dem Tod. Ich lehne ihn ab und missachte ihn. Alles Negative Verstärker für uns Menschen. Wir wollen das nicht fühlen und wir wollen so nicht sein. Denn das ängstigt uns u.U. auf einer tiefen Ebene unseres Seins.
Da unsere Hunde genauso wie wir ebenfalls sozial lebende Säugetiere sind, denken wir, es geht dem Hund genauso wie uns. Wir projizieren unsere Gefühle und deren Interpretationen auf den Hund. Positive wie negative gleichermaßen.
Einladung Perspektivwechsel
Meine Botschaft lautet wie so oft: Versuche eine andere Perspektive einzunehmen. Bitte ignoriere deinen Hund nicht! Damit würdest du ihn in seiner gesamten Persönlichkeit ablehnen. Damit würdest du eurer Beziehung großen Schaden zufügen. Meine Empfehlung für dich an lautet tief durchatmen, entspannen und auf jeden Fall weiterlesen.
Denn ich lade dich ein darüber nachzudenken, warum es für euch auf der Beziehungsebene durchaus sinnvoll sein könnte, deinem Hund weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Was wäre wenn weniger und gezieltere Aufmerksamkeit die Kommunikation zwischen dir und deinem Hund durchaus positiv beeinflussen würde? Möglicherweise könnte es langfristig zu weniger Missverständnissen zwischen euch führen.
Das ist hündisch
Hunde sind Hunde. Sie leben nunmal die Eigenarten der Hunde, nicht die der Menschen. Auch wenn sie so nahe bei und mit uns leben. Aufmerksamkeit unter Hunden hat eine andere Bedeutung und steht in einem anderen Sinnzusammenhang. Damit sind auch an dieser Stelle Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Hund und Mensch vorprogammiert.
In meinen Jahren in Südamerika hatte ich das große Glück viele frei lebende Hunde beobachten, zu können. Die meisten hatten sich in unterschiedlichen, sozialen Verbänden zusammengefunden. Es war für mich immer ungeheuer spannend mit zu bekommen, wer nach wem schaut.
Meiner Erfahrung nach dient Aufmerksamkeit auf hündisch nicht dem Zweck ein Individuum in die Gruppe zu integrieren (so wie unter uns Menschen). Dies geschieht, indem Hunde gemeinsam verschiedenen Aktivitäten, wie z.B. der Jagd (!), nachgehen. Sie festigen ihre Gemeinschaft, über zusammen unterwegs sein, gemeinsame Nahrungsaufnahme, über zusammen ruhen und liegen (z.B. Kontaktliegen). Dies sind die verbindenden Elemente. Nicht aber die gegenseitige Aufmerksamkeit.
Diese hat unter Hunden eher den Sinn und Zweck die soziale Rangfolge zu manifestieren und diese nach außen sichtbar zu machen: Die Jungtiere schauen nach ihren Eltern oder andern Alttieren. Dadurch sind die Elterntiere ganz natürlich in der führenden und dominanten, also beinflussenden Rolle. Das macht biologisch Sinn, denn es sind die Eltern, die vorgeben, was wann und wie gemeinsam getan wird. Wenn die Elterntiere aufstehen und sich in Bewegung setzten, weil sie beispielsweise zur Jagd aufbrechen, sollten die Jungtiere das defnitiv mitbekommen. Aufmerksamkeit hat hier also einen ganz anderen Grund und damit eine andere Aussage.
Für uns Menschen bedeutet diese Erkennntnis emotionale Entlastung. Denn wir wissen nun, dass das, was wir mit Aufmerksamkeit meinen, bei unserem Hund vollkommen anders ankommen kann. Könnte es also sein, dass das, was wir mit Aufmerksamkeit meinen bei unserem Hund sogar „falsch“ ankommt? Falsch im Sinne von „mein Mensch benimmt sich wie ein Jungtier“. „Ständig guckt er nach mir, als ob ich die Führungsrolle in unserer Gruppe inne hätte“.
Deshalb könnte weniger Aufmerksamkeit gut für deinen Hund sein
Heißt das nun, dass wir unseren Hunden einfach dauernd und so wie uns der Schnabel gewachsen ist, unsere Aufmerksamkeit zu entziehen haben? Nein. Möglicherweise lohnt es sich jedoch darüber nachdenken, was es mit unserer Rolle als Bezugsperson, innerhalb unseres Beziehungsgefüges, mit unserem Hund macht. Denn wenn wir unserem Hund so viel Aufmerksamkeit schenken, besteht die Möglichkeit, dass wir in die fasche Rolle rutschen. Wir verhalten uns aus Hundesicht wie der unerfahrene Nachwuchs.
Jungtiere halten stets die Augen nach den Eltern offen, um mit zu bekommen, was diese als nächstes vorhaben. Ein Hund jedoch der mit uns lebt kann damit nur schwierig umgehen, da er die Rolle des erwachsenen Hundes in unserer menschlichen Welt kaum wird darstellen können. In unserem menschlichen Alltag mit entscheidet in aller Regel der Mensch so gut wie alles für den Hund: was, wann, wo und wie oft etwas miteinander getan wird, und wo ihr euch wann und wie lange miteinander bewegt. Was ihr gemeinsam unternehmt, was du deinem Hund für Möglichkeiten bietest, damit sein SelbstWERTgefühl weiter wachsen kann.
Durch zuviel Aufmerksamkeit kann die Rollenverteilung Hund Mensch also in Unordnung geraten.
Frage an dich: Was verkörperst du, aus Sicht deines Hundes, wenn du deinem Hund viel Aufmerksamkeit schenkst? Einen souveränen Menschen, der gute Entscheidungen für die Gemeinschaft trifft, Sicherheit vermittelt und Möglichkeiten für Entwicklung schafft?
Oder vielleicht eher die Position des noch unerfahrenen Jungtieres was nach Orientierung am Elternteil sucht?
Für dich zum mitnehmen
Aus den oben beschriebenen Gründen fühlt es sich für uns Hunde-Menschen unangenehm, bisweilen sogar schmerzhaft an, wenn wir unseren vierbeinigen Gefährten mit weniger Aufmerksamkeit bedenken sollen.
Wenn wir unseren Hund jedoch zuviel beachten kann es uns geschehen, dass wir in die falsche Rolle rutschen. Wir verhalten uns intuitiv so, weil wir den Kontakt nicht verlieren wollen, weil wir nicht ausgrenzen wollen weil wir so unsere Zuneigung ausdrücken und Gleiches auf den Hund übertragen. Meine Empfehlungen für dich:
- Unser menschliches Bedürfnis nach Kontakt erst einmal bewusst anerkennen. Das tut gut, und ermöglicht es uns Menschen bewusster zu handeln und nicht in Leid zu geraten.
- Enspanne dich: Du musst nicht, du darfst.
- Mach dir bewusst, welches deine Bedürfnisse als Mensch sind, und welche die deines Hundes. Das ist nicht das gleiche.
- Weniger Aufmerksamkeit für deinen Hund bedeutet: Weniger anschauen, anfassen, ansprechen.
- Ignoranz beschreibt eine ablehnende Geisteshaltung, die in voller Absicht herbeigeführt wird. Ein bewusster Entzug von Liebe und Zugehörigkeit. Letztendlich eine Form psychischer Gewalt. Das ist nicht gemeint.
- Einladung an dich, öfter bei dir bleiben. Das entlastet auch deinen Hund.
- Differenziere beides, und erforsche diese Thematik offen und neugierig.
- Beispielsweise gehst du deinem Impuls deinen Hund anzuschauen, wenn gar nichts ist, einfach nicht jedes Mal nach.
- Fang klein an, denn es darf sich leicht anfühlen.
- Sei aufmerksam damit, wie dein Hund auf weniger Aufmerksamkeit reagiert.
- Affirmation: Weil ich dich liebe und entlasten möchte, schenke ich dir weniger, dafür bewusste Aufmerksamkeit.
- Stell dir immer mal wieder folgende Frage: Wer schaut eigentlich wann, wie oft, warum nach wem?
Dieses spannende Thema kann, wie gesagt, erhebliche Auswirkungen auf das Miteinander von dir und deinem Hund und euren Alltag haben. Bist du ins Grübeln gekommen? Famos!
Taucht der Wunsch auf dich tiefer mit diesem Thema zu beschäftigen, bin ich gerne für dich da.
Einfach hier Kontakt aufnehmen.
Freudiges Erforschen und Momente des Staunes wünsche ich dir.

Autorin: Christine LU. Surma
Ich unterstütze Menschen dabei, eine echte Beziehung zu ihrem Hund aufzubauen. Für ein entspanntes Miteinander, eine klare Kommunikation und tiefes Vertrauen.» Mehr über mich » Angebote » Kontakt aufnehmen
