Christine LU. Surma
Mensch und Hund in Beziehung
unruhigerHund-Anker

Unruhige Hunde – Geh vor Anker für deinen Hund

Ben ist vier Jahre alt, ein Mischlingsrüde vom Bauernhof. Mit zwei Jahren kam er zu Lars. Die beiden  leben seitdem gemeinsam in einer Wohnung am Stadtrand. Lars fühlt sich zunehmend unter Druck, weil Ben irgendwie niemals müde zu sein scheint. In den eigenen vier Wänden folgt er Lars beinahe auf Schritt und Tritt. Wenn er sich draußen überhaupt mal hingesetzt hat, steht er sofort wieder auf. Dann läuft er ruhelos herum, schnuppert hier und dort, dreht Kreise oder läuft zickzack. Das macht Lars zunehmend nervös. Außerdem macht er sich Sorgen um Bens Gesundheit. Lars ist ein sehr aktiver Mensch, doch es scheint gleichgültig zu sein, wie lange und oft er am Tag mit Ben rausgeht: dessen Unruhe und Hibbeligkeit steigern sich gefühlt noch. Sein Hund erscheint Lars wie innerlich getrieben. Er fühlt sich hilflos und empfindet Bens Verhalten überwiegend als anstrengend.

In einer Welt voller Reize und Ablenkungen ist es sehr herausfordernd, bei sich zu bleiben. Menschen wie Hunde scheinen permanent, mental wie physisch, in einem Meer der Un-RUHE davon zu schwimmen.

Wie kann es gelingen, innerlich vor Anker zu gehen, um dich und damit deinen Hund wieder auf den Horizont auszurichten?

Wie fühlt sich Ben?

Wie geht es einem Wesen innerlich, was im Außen so starke Un-RUHE verbreitet? Es ist nicht Bens  Bedürfnis hibbelig zu sein. Bei weitem nicht. Dennoch ist er wortwörtlich emotional „außer sich“. Nicht mehr in sich selbst verANKERt. Er fühlt keinen Anfang und kein Ende von sich – keine Be-GRENZung seiner Selbst. Grenzenlosigkeit kann ein sehr be-UNruhigender Zustand sein für Hunde. Bestimmt hast du dich als Mensch auch schon einmal so gefühlt. HALT-los und innerlich verloren gegangen. Vielleicht wusstest auch du dann nicht, wohin mit dir? In diesem Zustand ist es unmöglich, aus sich heraus eine neue innere HALTung zur aktuellen Situation entwickeln zu können.

Was hättest DU in diesem Zustand gebraucht?

„HALT mich“

„…Halt mich, leg mich zur RUHE in deinem Arm, HALT mich – nur ein bißchen – bis ich schlafen kann…“ singt Herbert Grönemeyer in seinem Song aus dem Jahr 1995. Damit bringt er auf wunderbare Weise ein Grundbedürfnis unserer Hunde zum Ausdruck: zur Ruhe kommen, sich gehalten fühlen. Begrenzung und Ruhe ermöglichen genau das. Dein Hund kann sich emotional wieder an dich anlehnen.  Zu einer neuen inneren HALTung finden, durch die er emotional überhaupt erst in einer Situation ankommen kann. Dafür bedarf es zunächst jedoch der inneren VerANKERung seines  Menschen. Wir können nicht von einem Hund verlangen, seine Unruhe los zu lassen, wenn wir selber innerlich unklar sind. Wenn wir z.B. mit Zeit-DRUCK unterwegs sind.

Hunde haben kein Problem mit angemessen kommunizierter, und verlässlich ausgeführter Begrenzung. Wir Menschen, Hunde-HALTER (!?) dagegen schon. In meiner Arbeit mit Mensch wie Hund mache ich immer wieder die Erfahrung, wie schwer es Menschen fällt, ihrem Hund gegenüber klar zu sein. Dazu dürfen wir zunächst einmal lernen, die Unruhe und Hibbeligkeit eines Hundes als Mensch aus zu-HALTen. Ihr einen Raum geben, statt sie zu ab zu wehren. Das ist leicht geschrieben, das ist mir durchaus bewusst. Es ist notwendig, dich emotional von deinem Hund ab-GRENZEN zu können, ohne aus dem inneren Kontakt auszusteigen. Dazu brauchen wir Ressourcen, auf die viele von uns nicht zurückgreifen können. Stattdessen geraten auch wir unter Druck, weil wir unserem Hund nicht geben können, was wir selber als Kinder oftmals nicht erlebt haben. Kinder tragen die Fähigkeit zum „inneren Verweilen“ ganz natürlich in sich. Viele von uns durften diese Gabe nicht bewahren.  Zudem erleben wir, oftmals unbewusst, gesellschaftlichen ErwartungsDRUCK. Ungewollte Ratschläge  wie „bleib doch einfach ganz easy im Hier und Jetzt..!“ oder Kommentare wie „mach hinne, das muß schneller gehen“. Wir befinden uns in einer Zeit der Stapelkriesen (so nennt das die moderne Wissenschaft). Die tobende Brandung unserer schnelllebigen Zeit scheint Raum für Ruhe kaum zu unterstützen, geschweige denn bewusst zu fördern. Da sind Ansprüche mehr in noch weniger Zeit und möglichst zeitgleich zu schaffen. Diese exponentielle Beschleunigung führt immer öfter zur inneren Erschöpfung. Beinahe, so scheint es mir, brauchen wir regelrecht neuen Mut, in Ruhe nach dem Horizont Auschau zu halten, statt Strecke zu machen.

Bens Nervensystem befindet sich in der Übererregung, genauso wie das von Lars. Was also braucht Lars für sich SELBST, bevor er gelassen in der Lage, ist seinem vierbeinigen Gefährten inneren Halt und das gute Gefühl von Ruhe vermitteln zu können?

Die Unruhe deines Hundes kann machen, dass auch du, ähnlich wie er, „außer dir“ gerätst. Gestehen wir uns das zu? Meiner Erfahrung nach in der Regel nicht. In meiner Arbeit führe ich Mensch wie Hund dahin, an genau dieser Stelle miteinander neu abbiegen zu lernen. Damit meine ich das bewusste,  innere sich selbst verorten. Wie sonst soll es einem Menschen überzeugend gelingen, seinen hibbeligen Hund aktiv darin zu unterstützen zu sich zu finden.

Du bist der Anfang! Wenn du konsequent deine inneren Anker setzt, kann dein Hund dir geistig folgen lernen. Natürlich sind Rassespezifika, Persönlichkeit und Lernerfahrungen auch in diesem Kontext von  Bedeutung. Ebenso wie die individuelle Stressverarbeitung und einiges mehr.

Wenn wir ehrlich hinfühlen, haben wir in diesen unruhigen Zeiten selber ein vertstärktesBedürfnis nach Ruhe. Reizüberflutet wie wir sind, versuchen sich viele von uns via Handy & co. wegzubeamen (beim Hundegang ein oft gesehenes Bild). Stellt sich dadurch unsere innere Gelassenheit ein? Ich habe nicht den Eindruck. Eher kommt dieses Verhalten einer kompensatorischen Zwangsstörung gleich. Auf diese Weise sind wir weder in der wohltuenden Selbstverankerung, noch im Kontakt mit unserm Hund. Lost auf offener See.

Wirksam und verlässlich sein

Du kannst wirksam sein, indem du für euch verlässliche, klare Rythmen und organische Strukturen schaffst. Beispielsweise Begrenzung nicht ab un an praktizierst, sondern sie selbstFAIRständlich in euren Alltag integrierst. Deinem Hund ermöglichst du auf diese Weise sich immer öfter innerlich daran an zu lehnen, sich einzugrooven. Er kann sich mental darauf einstellen lernen und muss seltener „außer sich geraten“. Ich beobachte oft, wie häufig Menschen Kontakt zum Hund aufnehmen, ohne etwas von ihm zu wollen. Auch das bringt  Unruhe mit sich. Außerdem wirkt der Mensch statt wirksam in der Welt, seinerseits hilfebedürftig auf seinen Hund.

Hast du bereits Lust bekommen, dich hier auf den Weg zu machen, und deine Fähigkeiten neu  zu entdecken?

Agieren versus Reagieren

Wer bewegt eigentlich wen im Miteinander von Mensch und Hund? Häufig ist es der Mensch, der auf die Handlungen seines Hundes reagiert. Dadurch erscheint er aus Hundesicht wenig autonom und selbstständig. Unuhige Hunde verfügen zudem häufig  über ein hohes Maß an Sensibilität. Das bedeutet, dass sie im Alltag vieles beunruhigen kann. Was sie wiederum verunsichert und innerlich zu einem Gefühl der Instabilität führt. Darum haben diese Hunde ein verstärktes Bedürfnis nach einem sicheren Menschen. Sie brauchen ein Wesen, das sich souverän durch die Welt bewegt, die hündischen Befürchtungen wahrnimmt und sinnvolle Entscheidungen aus der inneren Ruhe heraus trifft.

Neu abbiegen ermöglichen

Um auf eine neue Problemlösestrategien zu kommen, müsste ein Hund Gelegenheiten bekommen umzudenken. Genau das kann hirnphysiologisch nicht gelingen,  wenn er keinen inneren Halt in der Ruhe findet. Leider ist er im Zustand der Unruhe auch nicht erreichbar für Ansprache von seinem Menschen. So kann es zu keinem Dialog zwischen Mensch und Hund kommen, weil quasi „keiner drangeht“. Ein hibbeliger Hund befindet sich innerlich wie in einem Tunnel, aus dem er alleine nicht mehr herausfindet. („Tunnel-Blick“ bedeutet umgangssprachlich, jemand ist nicht in der Lage, nach rechts oder links zu schauen.). So wird es verdammt eng für ein Nervensystem in diesem Spannungszustand. So eng, dass neue Verhaltens-Ideen keine Chance haben. Dann wird auf alte Muster zurückgegriffen. Sie sind vertraut, so sehr, dass sie mitunter stereotyp wirken. Vielleicht ist dir einer diese „Muster-Hunde“ schonmal aufgefallen. Kreiselnd um die eigene Achse, dauernder Seitenwechsel an der Leine, Zickzack laufend – sie titschen unterwegs umher wie ein Flummi.

Würde auch für unterwegs eine neue, klare Ordnung geschaffen, könnten diese Hunde sich mental und physisch mehr und mehr  entspannen lernen. Zu Beginn darf diese Ordnung durchaus enger gefasste Strukturen aufweisen. Im Verlauf des Prozesses, sollten sie wieder flexibler werden. Beispielsweise gemeinsame Futtersuche mit klaren Regeln, Tagesabläufe mit festen Ruhephasen in Abgrenzung zu aktiven Phasen.  Dafür braucht es die soziale Auseinandersetzung zwischen Mensch und Hund. So kann soziale Kommunikation, eingebunden in eine sinnvolle, gemeinsame Aktivität, stattfinden. Für deinen Hund bedeutet das, ihr seid  über etwas wirklich Wichtiges miteinander im Gespräch. Dafür lohnt es sich, aus Hundesicht,  „aus sich heraus“ zu gehen. Nicht zu verwechseln mit  „außer sich“ geraten. Auf Empfang zu gehen, statt dauernd auf Sendung zu sein hat im Kontext der gemeinsamen Nahrungssuche eine große Bedeutung für Hunde.

Land in Sicht – Muster durchbrechen

Wir Menschen dürfen wieder empfänglich dafür werden, was unsere Hunde wahrnehmen, und wie sie sich damit fühlen. Hier sind wir als Hundehalter:innen gefragt, wieder auf „Empfang“ zu gehen. Deinem Hund ist es wichtig, wie DU Situationen bewertest. Nimmst du seine Umwelteindrücke kaum wahr, vermagst du nicht wirklich seine Unruhe nachzuvollziehen. Mit einem hibbeligen Hund zu leben, verleitet uns häufig ebenfalls in Hektik zu verfallen. Oder an der Unruhe förmlich zu „arbeiten“, in dem wir den Hund innerlich noch mehr unter Druck setzten. Beispielsweise dann, wenn ein Hund auf seinen Platz geschickt wird, wenn er „außer sich“ gerät. So steigern wir seine Unruhe weiter, weil er sie nicht mehr ausdrücken darf. Mehr noch, er muß sie unterdrücken. Wir bieten ihm also statt einer Möglichkeit, innerlich neu vor Anker zu gehen, eine Verstärkung seines Problems an. Einen Rahmen zu schaffen, der es ihm ermöglicht wieder zu sich selbst zu finden, und da auch verweilen zu können, wäre unser Job.

Du kannst deinem Hund ermöglichen mit dir zusammen zu lernen, dass gemeinsam unterwegs sein immer mit Ruhe beginnt. Dieser SINN-Zusammenhang ist deshalb so wichtig für ihn, damit er überhaupt die Bereitschaft entwickeln kann, sich zurückzunehmen. Nur so kann er aus seinen gewohnten Mustern herausfinden und lernen, wie sinnvoll es ist, sich auf etwas zu fokussieren. Voraussetzung dafür sind  sinnvolle Aktivitäten, wie zum Beispiel gemeinsame Nahrungssuche.

Eine weitere Chance umzudenken erhält dein Hund, wenn du für Inkohärenz in seinem Gehirn sorgst, in dem du  deinem Hund hilfst, aus Mustern herauszukommen. Dafür unterbrichts du die Unruhe. Du kannst  ruhig und innerlich verankert stereotype Abläufe deines Hundes stören.

Ballast über Bord werfen

Um Veränderungen im Verhalten unserer Hunde herbeizuführen, werden zahlreiche sogenannte „Auslastungsangebote“ propagiert. Ich kenne Hunde, die einen sehr vollen „Terminkalender“ haben. Wir Menschen neigen bei Unruhe offensichtlich dazu in das „Meer“ statt in den Minimalismus abzudriften.  Für einen Hund aber, dem es schwer fällt, sich innerlich zu sammeln, ist es essenziell dass sein Mensch Ballast über Bord wirft. Stresstoleranter zu werden lernt dein Hund nicht durch noch mehr Stress. Damit meine ich, mit allem aus Hundesicht Sinnlosem aufzuhören. Lieber zehn Schritte gemeinsam im Hier und Jetzt tun, als 60 Minuten unverbunden Strecke machen. Das fällt uns Menschen schwer, denn „dreimal täglich musst du mindestens mit deinem Hund raus!“ heißt es. Das klingt für viele Hundehalter:innen furchtbar anstrengend. Wie kann es aus diesem Gefühl heraus gelingen, dich nicht von der Hibbeligkeit deines Hundes in unruhiges Gewässer mitreißen zu lassen?

„Meer“ noch – Ich wünsche dir den Mut, alles Überflüssige loszulassen. Gelassen deinen Horizont auszumachen, und neue Anker-Möglichkeiten für dich und deinen Hund zu entdecken.

„Alle Tiere wissen es, nur der Mensch weiß es nicht mehr: dass das höchste Lebensziel Freude ist.“ (Samuel Butler)

Zum Mitnehmen für Dich

Zu guter Letzt danke ich meinem Rüden Enzo. Er ist ein großartiger und langmütiger Lehrer für innere Ruhe und Gelassenheit! Muchas gracias a ti.

Allen Leser:innen allzeit freudiges vor Anker gehen.

Porträt Christine LU. Surma

Autorin: Christine LU. Surma

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